Eine Berliner Ausstellung erinnert an den Verleger, Kunsthändler und Mäzen Paul Cassirer
Auf einer Kohlezeichnung, mit der Ernst Barlach seine große Güstrower Holzskulptur, den
Schwebenden,
entwarf, gab er der Figur die Gesichtszüge Paul Cassirers. Das
anrührende Dokument einer Männerfreundschaft kam allerdings zu spät.
Cassirer war kurz zuvor, im Herbst 1926, an den Folgen einer
Schussverletzung gestorben, die er sich selbst beigebracht hatte.
Barlach hatte nicht nur einen Freund, sondern auch seinen Förderer
verloren. Zwischen 1910 und 1919 hatte Barlach 128 Lithographien
geschaffen, die meisten davon für die
Pan-Presse, einer bibliophilen Zeitschrift, die im Verlag Cassirers erschien.
Der
Verleger hatte den sensiblen, unter Depressionen leidenden Barlach
immer wieder zu Text- und Bildserien angestachelt. Die einzigartige
Verbindung der Begabung des Dichters und bildenden Künstlers Barlach
verdankt sich vor allem dem Ansporn eines Verlegers, dem die Kunst das
meiste und der geschäftliche Erfolg eine Nebensache war.
"Ich kaufe Ihnen ein Häuschen in Zehlendorf"
Barlach
war kein Einzelfall. Cassirer unterhielt zahlreiche Beziehungen zu
Künstlern, die ihr Werk auf dessen generöse Unterstützung gründeten.
Der Philosoph Ernst Bloch erinnerte sich später an eine
Vertragsverhandlung, die Cassirers geschäftlichen Eigensinn
charakterisierte. "Ich kaufe Ihnen ein kleines Häuschen in Zehlendorf
und gebe Ihnen monatlich 400 Mark. Aber bitte, verlangen Sie nie eine
Abrechnung zu sehen; denn dann regt sich mein kaufmännisches Gewissen.
Was ich mache, ist gegen den Geist des Geschäftslebens." Dem Geist der
Utopie ist derlei verlegerische Marotte am Ende aber zu Gute gekommen.
Eine
kleine, auf zwei Etagen im Max Liebermann-Haus am Pariser Platz in den
Räumen der Stiftung Brandenburger Tor stattfindende Ausstellung hat
sich nun zur Aufgabe gemacht, an den Kunstmäzen Paul Cassirer zu
erinnern, der für die Berliner Moderne sowohl Inspirator als auch
Katalysator war. Es genügt ein flüchtiger Blick auf die versammelten
Werke, um zu erkennen, dass Cassirer eine der Zentralfiguren des
Kunstlebens seiner Zeit war.
Der 1871 geborene Paul Cassirer
entstammt einer weit verzweigten jüdischen Kaufmannsfamilie aus
Breslau, die zunächst Holzhandel betrieb und später über die
geschäftliche Expansion der Kabelwerke Oberspree zu einer der
einflussreichsten Berliner Industriellenfamilien wurde. Es war jedoch
der so genannten Vetterngeneration, der der Philosoph Ernst und die
Kunsthändler Paul und Bruno Cassirer angehörten, vorbehalten, die
musisch-intellektuellen Begabungen des Clans zu entwickeln. Die
weitgehend vergessene Familiengeschichte der Cassirers ließe sich als
exemplarische Aufstiegsgeschichte einer sowohl industriell als auch
künstlerisch geprägten preußischen Moderne erzählen, die nach Flucht
und Vertreibung in der Nazizeit jäh abbricht. Die Berliner Ausstellung
beschränkt sich allein auf die Entfaltung eines beeindruckenden
verlegerischen und künstlerischen Netzwerkes, das Paul Cassirer in der
Berliner Gründerzeit gepflegt unterhalten hatte. Er war zugleich
Kunsthändler, Mäzen, Verleger, und leidenschaftlicher Kunstpolitiker,
dessen Wirkung und Einfluss kaum vollständig erschlossen ist. Die
Ausstellung zeigt Gemälde von Liebermann, Beckmann, Slevogt, Corinth
und anderen, die das Berliner Kunstleben mitunter vom Kaffeehaus aus
dirigierten. Für kurze Zeit schien Berlin sich künstlerisch an Paris
orientieren zu wollen und es auch zu können.
Bilderhandel als Form der Marktbereinigung
Der
Anspielungsreichtum der Gemälde zeigt, wie sehr künstlerischer Ausdruck
und private Beziehungen einander durchdrangen. Ein Ölgemälde von
Corinth stellt die Schauspielerin Tilla Durieux als leidenschaftliche
spanische Tänzerin dar. Paul Cassirer heiratete die Durieux 1910, die
zugleich Muse, Femme fatale und sexualisierte Projektionsfläche ihrer
männlichen Zeitgenossen war. Die Legende will denn auch, dass Cassirers
tragischem Tod ein Liebesdrama mit der Durieux vorausgegangen war.
Dabei
waren Paul Cassirer dramatische Zuspitzungen in seinen Beziehungen
keineswegs fremd. Ein Gemälde von Leopold von Kalckreuth zeigt ihn als
seriösen Geschäftsmann, der seine sinnlichen, exzentrischen Züge kaum
zu verbergen vermag. 1898 hatte er zusammen mit seinem als besonnen und
zurückhaltend geltenden Vetter Bruno Cassirer in der Victoriastraße 35
die Galerie und Verlagsbuchhandlung B. und P. Cassirer eröffnet, die
sie von Henry van der Velde einrichten ließen und die bald zur ersten
Adresse des Berliner Kunsthandels wurde.
Die Cassirers zeigten hier die ersten Ausstellungen französischer
Impressionisten und der Volksmund reimte: "Mit Manet und Monet zu
Money". Paul und Bruno Cassirer wurden gemeinsam Geschäftsführer der
Künstlervereinigung Berliner Secession, aber von 1901 an trennten sich
die Wege der Vettern. Die Gründe sind bis heute ein Rätsel der
Kunstgeschichte, aber es spricht einiges dafür, dass es weniger
kunstpolitische Auffassungsunterschiede als familiär-amouröse
Komplikationen waren, die die ungleichen Vettern auf Jahre voneinander
trennten. Man ging sich aus dem Weg und nur die ganz großen Künstler
wie Liebermann und Slevogt konnten es sich leisten, mit beiden
geschäftliche Beziehungen zu unterhalten und gar befreundet zu sein.
Die
Berliner Ausstellung öffnet ein Fenster, aber sie schließt keine Lücke.
Bis heute gibt es keine Monographie über das künstlerisch-verlegerische
Kraftwerk Paul Cassirer, dem eine Anekdote nachgesagt, die
Gattungsbezeichnung Expressionismus in einer erregten Diskussion
überhaupt erst erfunden zu haben. Keineswegs aus uneingeschränkter
Begeisterung für die neue Kunstrichtung. Viele Werke der
expressionistischen Bewegung habe Cassirer wohl nur deshalb gekauft, um
sie, auch eine Form von Kunstpolitik, vom Markt verschwinden zu lassen.